Die Frequenzen

Clemens J. Setz: Die Frequenzen

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Inhalt

Was ist bloß der Inhalt des Romans?
Es geht jedenfalls um zwei Jugendliche, die als Hauptdarsteller dienen könnten: der eine heißt Walter, der andere ist Alexander (der ich-Erzähler). Beide waren Schulkollegen, haben sich aber aus den Augen verloren – auch deshalb, weil sie keine Schulfreunde waren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den Sprung in die Erwachsenenwelt (noch) nicht geschafft haben und mit ihren Herkunftsfamilien ringen:

winter_autoAlexander wurde von seiner überfordert dahinvegetierenden Mutter alleine großgezogen, seit sein Vater eines Tages einfach davonfuhr und die beiden in einer verlassenen Winterlandschaft zurückließ.

Familie am TischWalter, dessen erfolgreicher Vater Vorstellungen über ihn hat, die er wohl nie wird erfüllen können, die er jedoch seiner Familie bemüht vortäuscht.

Beide Adoleszenten sind intelligent, jedoch gefüllt mit Selbsthass, Frustration, Lebensüberdruss, Ziellosigkeit, ‚Egalheit‘, Aggression – einfach so richtig pubertär.
Und es passiert ein Mord an einer Frau – mehr wird hier nicht verraten.

Form

lupe-schwebt-über-menschenUnd dann gibt es ‚Nebendarsteller‘, die auftauchen und sich in den Mittelpunkt schieben, als würden sie mit einer Lupe unwirklich vergrößert, herausgehoben, als ginge es im ganzen Roman nur um sie.
Es ist, als hätte Setz nicht gewusst, wie das Leben der Figuren an den beschriebenen Tagen weiterlaufen würde und es daher für notwendig erachtet, auch ihnen (sicherheitshalber) ausreichend Raum zu geben: man weiß ja im vornherein nicht, auf wen oder was es am Ende wirklich ankommen wird.

Uljana mit Trichter

Doch nicht nur Figuren (bzw. ein Hund), auch Handlungsstränge fluten in den Vordergrund und verebben wieder rückstandslos, so dass ich mich fragen musste, ob ich nicht ein wichtiges Detail übersehen bzw. in den mehr als 700 Seiten vergessen habe. Andererseits habe ich Querverbindungen und Verweise gefunden, die in scheinbaren Nebensächlichkeiten das Handlungsnetz knüpfen, die Kapitel verbinden, die Geschichte aufbauen.

Wesentlich ist in ‚Die Frequenzen‘ jedenfalls die Art und Weise, wie Setz die Welt aufspannt, wie er Stimmungen beschreibt, Sachverhalte erklärt, die Kapitel parallel führt, zeitlich schachtelt, Blickwinkel verändert, Aussagen formuliert, welche Form er wählt. Oftmals haben mich Setze schmunzeln lassen, betroffen gemacht, überrascht.

Auszüge

Die Beschreibung eines Pflegers im Altenheim, in dem Alexander arbeitet, liest sich so:

„Max ist etwa dreißig, trägt eine Glatze, spricht gern in Ellipsen und hat die Manieren eines nihilistischen Militärarztes.
Max GlatzkopfEr stiehlt gerne Aschenbecher aus Restaurants und baut aus ihnen babylonische Türme aus dunklem Glas. Er wettet auf den Ausgang von Nahost-Friedensverhandlungen wie andere auf Sportergebnisse. Beim Gehen rempelt er alles an, was ihm in den Weg kommt, sogar parkende Autos. Kinder und Tiere meiden ihn.“

Gedanken von Walter, in einem Kleidergeschäft:

„Schaufensterpuppen sind dazu da, uns an den Anblick abgetrennter Köpfe und Gliedmaßen zu gewöhnen; damit wir nicht jedes Mal schreiend davonlaufen, wenn wir sie im wirklichen Leben antreffen.

Schaufensterpuppe kaputtVerrenkungen, Amputationen, verstümmelte Unfallopfer – wir denken dann automatisch an Mode, die neuesten Herbstfarben und die beruhigende Hintergrundmusik in einem Kaufhaus.“

oder Alexanders Denken, während er für eine Prüfung lernt:

„Nichts kann einen universitären Betrieb für lange Zeit aufhalten. Er hat seinen Teil an der Ewigkeit vor langer Zeit abgemessen. Mathematiker schraffieren weiter kleine Intervalle unter der Gauss’schen Glockenkurve, auch wenn im Nebengebäude geschossen wird. Studenten rekeln sich in der Wiese und prüfen sich gegenseitig, am Nachmittag gehen sie demonstrieren. Ein Bild ewiger Jugend und Gleichgültigkeit.“

Stimmung

Das Buch hat mich fasziniert zurückgelassen –
fasziniert von der Sprache, dem genialen Aufbau, der schrägen Sichtweisen und Wirklichkeitsinterpretation, der Familienverstrickungen.
Das Buch hat mich frustriert zurückgelassen –
frustriert von der vermittelten Stimmung, Aussichtslosigkeit und Belanglosigkeit des Lebens.

Das Leben ist schön – auf der richtigen Frequenz :-),
Thomas

Autorität ohne Gewalt

Autorität ohne Gewalt

Haim Omer/Arist von Schlippe: Autorität ohne Gewalt
Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen

Das Vorwort beginnt (sinngemäß) so: „Vielen Erzieher in hochentwickelten Ländern ist die Sicherheit abhanden gekommen, dass sie über natürliche Autorität verfügen und ihren Kindern Rückhalt, Selbstvertrauen und Orientierung geben könnten„.

Haim Omer unterstützt Eltern dabei, diese ’natürliche Autorität‘ zurückzuerlangen – er beschreibt sein systemisches Konzept „Elterliche Präsenz“ mit vielen Fallbeispielen in diesem Buch.

Worum geht es?

Nehmen wir an, die Situation zwischen Eltern(teil) und Kind ist zugespitzt, z.B. dadurch, dass

  • der_kleine_tyrann02das Kind (teilweise oder gesamt) die Regeln des Zusammenlebens mit den Eltern bestimmt.
  • das Kind zwar anwesend ist, aber „die Eltern nicht mehr hört“.
  • das Kind sich den Eltern entzieht und ein Gespräch zwischen Eltern und Kind gar nicht mehr möglich ist.
  • jugend01das Kind schulische Leistung verweigert bzw. in der Schule ‚verhaltensauffällig‘ ist bzw. die Schule schwänzt.
  • das Verhalten/die Kommunikation des Kindes gegenüber den Eltern überwiegend beleidigend, provozierend oder aggressiv, also absolut inakzeptabel, ist.
  • das Kind straffällig geworden ist (Diebstahl, Drogen, Gewalt, …)
  • das Kind sich selbst zerstört (Borderline, Bulimie, Alkohol, …) bzw. selbstzerstörerisches Verhalten zur Erpressung (Suizid-Drohungen, …) nutzt.

Wie kann nun eine Verbesserung in dieser Situation geschaffen werden?


der_kleine_tyrannHaim Omer führt als Randbedingung für therapeutische Maßnahmen ein, dass sie

  • keine Vorschriften über den ‚richtigen Weg‚ von Erziehung und Familienleben beinhalten, sondern die Werte und moralischen Vorstellungen der Eltern achten
  • keine direkte oder indirekte Beschuldigung der Eltern beinhaltet (auch nicht über den Umweg des „ursächlich verantwortlich Sein“ für das gestörte Verhalten), sondern das Bemühen der Eltern würdigen
  • auf Gewalt, Demütigung und Kränkung verzichten und allen Beteiligten das eigene Gesicht wahren lässt
  • elterliche Kraft gegenüber kindlicher Destruktion stärken und den Eltern ihre Autorität (ohne Gewalt) wiedergeben


vater-tochterUnter diesen Randbedingungen sind Maßnahmen – je nach Situation und Möglichkeiten der Eltern bzw. des Umfeldes – kreativ zu planen und durchzuführen, um den Eltern ihre Präsenz in der Familie wieder zurückzugeben und damit diese wieder sagen können:

„Ich kann handeln!“
„Das (wie ich handle, wie ich denke) ist richtig!“
„Ich bin nicht allein!“

Die Eltern treten dazu in Kommunikation/Verhandlung mit dem Kind in einer Art und Weise, das ganz klar ist:
Familiendemokratie

„Wir möchten eine Veränderung, eine Verbesserung unserer Lebenssituation.
Es ist uns wirklich wichtig.
Wir nehmen uns dafür die notwendige Zeit und den notwendigen Raum.
Wir möchten eine beidseitige annehmbare Vereinbarung erzielen.
Wenn du (jetzt noch) nicht bereit bist, eine beidseitig annehmbare Vereinbarung mit uns auszuhandeln bzw. einzuhalten, dann müssen wir uns als Menschen (vor dir) schützen.“

Welche Maßnahmen können das nun sein?

Die in den Fallbeispielen vorgestellten, (mit den Eltern) vereinbarten Handlungen und Maßnahmen klingen teilweise schräg/absurd, sind jedoch den jeweiligen Situationen und Rahmenbedingungen angepasst, logisch nachvollziehbar und wirkungsvoll.
Der Kürze halber leider unvollständig und isoliert angeführte Maßnahmen:

Netzwerk

party-alkoholDie Eltern bauen ein Netzwerk auf, so dass sie nicht allein mit dem Problem – der schwierigen Beziehung und der Sorge um ihr Kind – dastehen und damit sie für das Kind ‚allgegenwärtig‘ erscheinen. In das Netzwerk einbezogen werden können z.B.: Freunde des Jugendlichen, Therapeuten, Verkäufer in Geschäften oder Lokalen, die das Kind besucht, Lehrer, Verwandte, Polizei, Erziehungshelfer, … praktisch alle Personen, mit denen das Kind zu tun hat. Eltern können so Nachrichten, Botschaften an ihr sonst nicht mehr erreichbares Kind senden oder erfahren auf diese Weise überhaupt erst, was ihr Kind macht (z. B. Schule schwänzen, Lokale besuchen, Peer-Group kennen lernen, …). 

Sit In

sit-in-klassischBei dieser Methode des gewaltfreien Widerstandes ‚belagern‘ die Eltern das Zimmer des Kindes (für einen bestimmten Zeitraum pro Tag, z.B.: 2 Stunden bis hin zu ganzen Tagen) und nehmen sich dadurch Zeit und Raum, um ihre Rechte durchzusetzen (z.B.: Gespräche für Vereinbarungen, …). Dabei ist es hilfreich, sich Unterstützung zu holen, z. B. bei Verwandten, Freunden der Familie, Therapeuten, …

Konsequenzen bzw. Handlungsfähigkeit zurückerlangen

Eltern scheuen aus Furcht vor z. B.: Beziehungsabbruch bzw. -verschlechterung, Selbstverletzung, Aggression, Kriminalisierung, … davor zurück, klare Konsequenzen wirklich durchzusetzen. Diese Furcht kann nun berechtigt oder unberechtigt sein, sie lähmt jedenfalls die Handlungsfähigkeit der Eltern.
Die Konsequenzen müssen natürlich die oben angeführten Randbedingungen erfüllen.

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In den Fallbeispielen sind Konsequenzen z. B. Verringerung bzw. Aussetzen des Taschengeldes, Konfiszieren von Gegenständen aus dem Zimmer des Kindes (z.B.: Fernseher, Computer, Stereoanlage, …), Ab- bzw. Heimholen des Kindes z.B: aus einem Lokal, Diskothek, von Freuden, …, ‚Überwachung‘ des Kindes in kritischen Situationen, Anzeige der nicht legalen Handlungen des Kindes, …

The Bear-Hug

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Die „Bärenumarmung“ ist eine Möglichkeit bei jüngeren Kinder, durch eine länger anhaltende, liebevolle Umarmung das Kind an einem nicht annehmbaren Verhalten zu hindern. Haim Omer grenzt sich hier ausdrücklich von der in Deutschland teilw. propagierten ‚Festhaltetherapie‘ ab.

und weitere, je nach Problemstellung, Möglichkeiten, …

Zusammengefasst

haim-omerHaim Omer zeigt unterschiedlichste familiäre Problemfälle auf, bei denen Eltern ihre Handlungsfähigkeit und ihre Selbstachtung (also ihre „Elterliche Präsenz“) wiedergegeben werden konnte, auch wenn diese durch das dauerhaft wiederholte grenzüberschreitende Verhalten der Kinder bis zur Auslöschung erodiert wurden.

Haim Omer orientiert sich an Grundsätzen, Rahmenbedingungen und Leitlinien, sodass genügend Freiraum bleibt, um therapeutische Maßnahmen für unterschiedlichste Familienkonstellationen, Wertehaltungen und Problemstellungen zu entwickeln.

Erzieh mich dochIn allen Fallbeispielen zeigt sich Haim Omers Würdigung des Bemühens der Eltern die (Familien-)Situation zu verbessern und sein Respekt gegenüber den Menschen, die die Mühen eines Veränderungsprozesses auf sich nehmen – aus Liebe und Sorge um ihr Kind, aber auch zu ihrem eigenen Schutz.

Die Fallbeispiele sind interessant – nicht schönfärberisch, sondern durch die Hinweise auf Probleme und Schwierigkeiten realistisch und nachvollziehbar dargestellt.

Insgesamt fand ich das Buch gut lesbar, den Inhalt nachvollziehbar und umsetzbar.

Das Leben kann schön sein ;-),

Thomas

Kinder einfühlend ins Leben begleiten

Elternschaft im Licht der Gewaltfreien KommunikationMarshall B. Rosenberg: Kinder einfühlend ins Leben begleiten.

Das Büchlein, dessen wesentlicher Inhalt auf den ersten 24 der insgesamt 42 Seiten ausgerollt wird, bringt eine sehr allgemein dargestellte Sichtweise auf das Zusammenleben mit Kindern, ausgeführt mit einigen wenigen Beispielen und Anekdoten zur Illustration. Im Grunde plädiert Rosenberg dafür, mit Menschen nicht abwertend und respektlos umzugehen, sondern sie als gleichwürdige Partner zu sehen. Das ist durch die (vermeintliche) Vor-Macht-Stellung der Eltern gegenüber ihren Kindern wesentlich schwieriger, als gegenüber gleichrangigen Menschen (z.B.: Arbeitskollegen).
Es könnte sein, dass das Büchlein ohne Wissen über „Gewaltfreie Kommunikation“ unverständlich bzw. nicht nachvollziehbar ist. Andererseits ist es für Menschen, die Erfahrung mit „Gewaltfreier Kommunikation“ haben, nichts Neues – höchstens eine Auffrischung, vielleicht ein neuer Impuls.

Erziehungswege

Wenn ich mein Weltbild über den Inhalt lege, so verdeutlicht Rosenberg, dass der dritte Erziehungsweg zu bevorzugen ist, da er Kindern die größte Entfaltungmöglichkeit für ihr Entwicklungspotenzial lässt.

Erster Erziehungsweg: Beeinflussung, Macht ausüben

Hiermit meine ich das „Beeinflussen“ der Kinder durch Zwang, Bedrohung, Bestrafung und Belohnung, allgemein durch Machtausübung. Nebenbei erwähnt, besteht letztendlich kein Unterschied zwischen Erziehung durch Bestrafung und Belohnung: Alle Anstrengungen dienen der Manipulation und der Einschränkung des menschlichen Verhaltens (in diesem Falle des Kindes) hin zu einem von außen vorgegebenem, erwünschten, nicht zu hinterfragendem, von einer höheren moralischen Instanz (Eltern, Gesellschaft, Religion, …) festgelegtem Verhalten. Viele Erziehungsratgeber hinterfragen diesen Grundansatz der elterlichen Autorität nicht, sondern geben Handwerkszeug in die Hand, diese Machtausübung versteckt, effizient und/oder möglichst ’nebenwirkungsfrei‘ auszführen.

Das Erziehungsergebnis ist nicht nur die erwünschten Anpassung, sondern auch die Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse, Entmutigung und damit das Fallenlassen eigener Ziele. Die Kinder entwickeln schließlich Widerstand, Agression und/oder Rückzug, Isolation.

Dieser Weg ist allgemein verbreitet und akzeptiert, so dass in unserer Gesellschaft auch die ‚Nebenwirkungen‘ in Form von Trotzphase, Pupertät, Rebellion, … als nicht vermeidbar und normal angesehen werden.

Zweiter Erziehungsweg: Machtübergabe (Laissez Faire)

Demgegenüber steht das andere Extrem: die Übergabe der „Macht“ an die Kinder selbst. Sie meiden Konflikte so sehr, dass sie die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse aufgeben. Diese Eltern neigen dazu, ihre persönlichen, eigenen Grenzen den Kindern gegenüber nicht aufzuzeigen, geschweige denn deren Einhaltung einzufordern. Andererseits sind die Eltern auch nicht in der Lage, die wirklichen Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und ihnen ausreichend Unterstützung zu geben.

Das Erziehungsergebnis ist neben der erwünschten Entfaltung, Ausleben der kindlichen, unbegrenzten Bedürfnisse und der kindlichen Freiheit v.a. Verantwortungslosigkeit, grenzüberschreitendes Verhalten, Tyrannei, Gereiztheit, ….

Dieser Weg wird i.A. als so schlimm und verantwortungslos angesehen, dass die Unterscheidung zu einer anti-autoritären Erziehung (hier Verhandlungsbeziehung genannt) emotional oft nicht mehr möglich ist.

Dritter Erzieungsweg: Verhandlungsbeziehung

Rosenberg spricht sich für eine „bestimmte Qualität von Beziehung“ aus: Durch gegenseitigen Respekt und Anerkennung der Gleichwürdigkeit wird es möglich, in liebevolle Beziehung zu treten und Konfliktlösungen zu verhandeln, die es beiden Seiten ermöglicht, ihre Bedürfniserfüllung zu wahren. Ich bezeichne dies (etwas nüchtern) als Verhandlungsbeziehung. Wie das gehen kann, ist ausführlich bei M. B. Rosenbergs „Gewaltfreie Kommunikation“ nachzulesen – ein Buch, dass ich nach wie vor zu jenen drei Büchern zähle, die mich am stärksten beeinflusst haben.

Das Erziehungsergebnis besteht aus der erwünschten Entfaltung unter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse anderer, bringt eine Vertiefung der Eltern-Kind-Beziehung mit sich, fördert die Entwicklung kommunikativer Kompetenz, sozialer Kompetenz, Empathie, respekvollen Umgangs miteinander und anderen, …

Voraussetzung ist jedoch das Zurücknehmen des eigenen Machtanspruches und das Investieren des zeitlichen Aufwandes für das intensive „in-Beziehung-Tretens“ bereits bei scheinbar kleinen Konflikten.

Meine Motivation für Verhandlungsbeziehungen

Stimmt die Annahme, dass Kinder hauptsächlich durch das Imitieren des Erwachsenenverhaltens (hier v.a. der Eltern) lernen, so ergibt sich zwangsläufig folgende Frage zum Erziehungsstil an mich als Elternteil:

Bin ich zufrieden,
wenn sich mein Kind mir und anderen gegenüber so verhält,
wie ich mich ihm gegenüber verhalte?

Kann ich das uneingeschränkt mit ‚Ja‘ beantworten, so passt mein Erziehungsstil. Andernfalls muss ich mein Verhalten als Elternteil hinterfragen und adaptieren, um beim Kind eine entsprechende Anpassung zu erreichen. Andere Erziehungsmaßnahmen (Belohnen, Bedrohen, Belobigen, Bestrafen, Bestechen) führen dazu, dass das Kind diese Erziehungsmaßnahmen erlernt, nicht jedoch den Inhalt der Erziehungsmaßnahme.

Ein Beispiel

Wenn ich mein Kind anschreie, es solle die Türen nicht so zuknallen, dann lernt das Kind zum Beispiel folgendes:

  1. Um zu Vermeiden, dass mein Vater/meine Mutter mich anschreit, sollte ich die Tür leiser zu machen (was ja auch erwünscht ist, jedoch keine Erziehung im eigentlichen Sinne ist, sondern eher das Antrainieren einer Vermeidungsstrategie)
  2. Wenn mir das Verhalten einer anderen Person nicht passt, dann muss ich sie einfach anschreien, um zu erreichen, was ich will.
  3. Wenn ich mich über Vater/Mutter ärgere, dann kann ich mich rächen, indem ich die Türen knalle, damit sie sich auch ärgern.

Was das Kind jedenfalls nicht gelernt hat, ist, die Grenzen und Bedürfnisse anderer zu wahren, die da sein könnten: Bedürfniss nach Ruhe, Schonung der Möbel, Wertschätzung der bereitgestellten Umgebung, Sicherheit (bei einer Glastüre), …
Dazu ist eine andere Kommunikation, eine Konfliktaustragung, eine gezielte Auseinandersetzung mit dem Kind notwendig. Wie das gehen kann, ist jedoch nicht in dem Büchlein „Kinder einfühlend ins Leben begleiten“ dargestellt. Daher die Empfehlung: „Gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg.

Das Leben ist schön :-),
Thomas

MUT TUT GUT

Schoenaker, Theo: MUT TUT GUT. Das Encouraging Training.

Das Encouraging-TrainingTheo Schoenaker klärt behutsam die Aspekte eines selbstverantworteten Lebens und zeigt Wege, sich selbst dorthin zu bringen. Sein Ansatz ist die „Ermutigung“, auf Englisch „Encouraging“.

Den Leser/die Leserin teilweise persönlich ansprechend, startet das Buch bei der „Entmutigenden Gesellschaft„: viele Menschen werden in und durch unserer Gesellschaft entmutigt und leben recht und schlecht mit dem Verlust von Sicherheit und haben Minderwertigkeitsgefühle entwickelt – jedoch in einem normalen, (v)erträglichen Bereich. Insgesamt führt diese Entmutigung jedoch zu „Vermeidung„:
das, was ich machen möchte, das, was ich sehne, kann ich nicht ausleben, da ich entmutigt vermeide. Schoenaker führt hier konkrete Beispiele an, wie sich Vermeidung in Partnerschaft ausdrückt.

Aber es gibt auch „Ermutigende Erkenntnisse“ über den Menschen selbst, als soziales Wesen, als Entscheidung treffendes Wesen, als zielorientiertes Wesen – aber auch als unvollkommenes Wesen. Schoenaker nennt vier Prioritäten, die das Verhalten des Menschen wesentlich bestimmen:

  • Bequemlichkeit
  • Gefallen wollen
  • Kontrolle
  • Überlegenheit

Die vier Prioritäten sind an sich wertneutral und bei Menschen in unterschiedlichster Gewichtung (Prioritäten) vorzufinden. Jede Priorität hat sowohl positive als auch negative Entwicklungstendenzen in sich. Ein ermutigter Mensch wird seine Prioritäten positiv entfalten, ein entmutigter Mensch negativ. Als Beispiel führe ich Bequemlichkeit an, die ein ermutigter Mensch als „mit sich zufrieden“ ausleben kann, ein entmutigter als „drückt sich vor Verantwortung“.

Schließlich geht es an die Theorie der „Ermutigung“ selbst: Was wirkt ermutigend? und vor allem: Wie werde ich selbst mutiger (oder besser: mutvoller)? So klar die Antwort auf den ersten Blick scheinen mag, so vorsichtig sollte sie gegeben werden: Wie wirkt Belohnung? Ist Lob wirklich ermutigend? Hier kann „der gesunde Menschenverstand“ in guter Absicht mehr Schaden anrichten, als er nützt.

Im Kapitel „Erstrebenswerten Qualitäten“ zählt Schoenaker die für das Zusammenleben zehn wichtigsten Qualitäten auf, beschreibt und argumentiert sie. Es sind dies:

  • Interesse für andere
  • Aufmerksames Zuhören
  • Begeisterung
  • Geduld
  • Der freundliche Blick
  • Die freundliche Stimme
  • Das Gute erkennen
  • Versuche und Fortschritte anerkennen
  • Selbstverantwortliches Handeln
  • Körpernähe (-kontakt) herstellen

Schließlich erläutert Schoenaker „Wege zur Selbst- und Fremdermutigung“ und gibt hier Vorschläge, wie über einen konstruktiv geführten Inneren Dialog Selbstermutigung (und damit die Voraussetzung für Fremdermutigung) passiert. Abgerundet ist auch dieses Kapitel mit Beispielen, hier gibt es auch konkret umsetzbare Übungen.

Das Buch hilft in das Thema Ermutigung, das eng gekoppelt ist mit Selbstwert bzw. Minderwertigkeitsgefühl, Wagemut bzw. Vermeidung, Erfolg bzw. Versagensängsten, … einzusteigen und macht wirklich Mut, selbst aktiv zu ermutigen.

Andere, und vor allem: sich selbst.

MUT TUT GUT ist kein Trainingsbuch oder Ersatz für ein Encouraging-Training: es beschreibt die Basisüberlegungen und gibt einen tiefen, nachvollziehbaren Einblick in die Sichtweise Schoenakers und begründet damit sein Encouraging-Training nach dem Schoenaker-Konzept.

Der Schreibstil des Buches ist sehr ‚weich‘ und transportiert die Inhalte gut annehmbar. Insgesamt ist „Mut Tut Gut“ leicht lesbar und empfehlenswert für alle, die intensiv mit Menschen umgehen dürfen.

Übrigens: Das Leben ist schön :-),
Thomas

P.S.: Mein Lieblingsvideo zum Thema: Dare. Change.

Woher kommt der Charakter?

Sind Charakter-Eigenschaften gesellschaftlich geprägt?
Oder genetisch?

Oder etwas dazwischen?

Nehmen wir als Beispiel „Aggressivität„. Gibt es ein „Aggressions“-Gen?
Also, ist es durch eine Gen-Analyse feststellbar, ob jemand aggressiv ist oder sanftmütig?

Möglicherweise ist Aggressivität aber weder gesellschaftlich noch genetisch festgelegt: was, wenn tiefsitzende charakterliche Eigenschaften während der Schwangerschaft geprägt werden? Eben in jener Zeit, in der der Embryo über die Nabelschnur mit der Mutter verbunden ist und am gleichen Blutkreislauf alle emotionalen Regungen voll mit- und abbekommt?

Schwangere FrauEntwickelt sich ein Embryo gleich, wenn die Mutter während der Schwangerschaft ständig unter Stress steht, gereizt ist und das Kind im Bauch mit den dazugehörigen Hormonen geschwemmt wird, oder anders, als wenn das Kind dauernd mit Glückshormonen durchflutet wird?

Wenn die charakterlichen Eigenschaft während der Schwangerschaft geprägt werden, dann kommt das Kind auf die Welt, hat bereits (möglicherweise sogar stark ausgeprägte) charakterliche Eigenschaften – und wir würden feststellen: „Das muss mit den Genen mitgekommen sein …“. Was ja auch stimmen kann, da ja die epigenetische Einstellung der Gene während der Schwangerschaft die Präposition des Kindes bestimmt. Aber ist diese epigenetische Einstellung der Gene während der Schwangerschaft beeinflussbar? Und wenn ja, wodurch?

Mich würde interessieren,
was folgender (Tier-)Versuch ergeben würde:
Eher aggressiver Hund
Bei zwei trächtigen Hündinnen, die unterschiedliche charakterliche Eigenschaften haben, werden möglichst früh ein Teil der befruchteten Eizellen ausgetauscht (keine Ahnung ob und wie das gehen kann). Ich stelle mir also eine aggressive Bullterrier-Hündin (A) und eine sanftmütige Berner Sennhündin (S) vor, die jeweils von der gleichen Rasse trächtig ist.
Durch den ‚befruchteten Eier-Tausch‘ trägt A a-Welpen (Aa) und auch sanftmütige s-Welpen (As) aus, ebenso S, die dann Sa und Ss Welpen wirft.

Ist es 1? Ist die Aggressivität der Welpen in den Genen hart kodiert, so Eher sanftmütiger Hundmüsste A nun aggressive (Aa) und sanftmütige (As) Welpen werfen. Ebenso wirft S aggressive und sanftmütige Welpen (Sa und Ss).
Oder 2? Hat sich die Aggressivität der Welpen jedoch erst während der Tragezeit entwickelt, so müssten alle Welpen von A (Aa und As) aggressiv sein, die Welpen von S (Sa und Ss) hingegen alle sanftmütig auf die Welt kommen.
Oder 3? Ist die Aggressivität dieser Welpen ein Zufallsprodukt?
Oder 4? Vielleicht ist die Aggressivität bei den Welpen ja noch gar nicht ausgeprägt und entsteht erst nachträglich, durch die ‚Gesellschaft‘?

Würde mich interessieren was da rauskommt …
Wer weiß was?

Das Leben ist schön,
Thomas

Die Durchschnittsfalle

Markus Hengstschläger: Die Durchschnittsfalle. Gene-Talente-Chancen.Gene - Talente - Chancen

Markus Hengstschläger meint: Das österreichische Schulsystem ist besonders effektiv darin, die Schüler/innen auf ihre Mängel hinzuweisen und sie dazu zu bringen, Talente zu vernachlässigen und viel Zeit und Energie für die Arbeit an ihren Schwächen aufzuwenden, um dort ins Mittelmaß aufzusteigen und dabei gleichzeitig mit ihren Stärken ins Mittelmaß abzusinken. Das führt dazu, dass die Absolventen in vielen Gebieten durchschnittlich sind, zumindest nicht „Peak and Freak“.
Der gesellschaftliche Wunsch ist es offenbar, durchschnittlich und angepasst zu sein, nicht aufzufallen; jede Abweichung von der Norm ist suspekt und unerwünscht, besondere Leistungen werden nicht als solche (an)erkannt.

Doch es geht in diesem Buch nur am Rande um Schule.
Zentral geht es um die Fragen:

Wie bereiten ‚wir‘ uns (als Gesellschaft, als Menschheit) auf die unbekannten Fragen/Probleme, die in Zukunft zu lösen sein werden, vor?
Was sind „Talente“ eigentlich, was ist „Begabung“?
Sind für gute Leistungen (= Erfolge) genetische Dispositionen relevant?
Welchen Einfluss haben Gene, welchen Einfluss hat die Umwelt?

An Hand von Beispielen aus der Tierwelt und der Mechanismen der Genetik zeigt Markus Hengstschläger, wie fatal das Orientieren am Durchschnitt, wie unzulänglich das Reproduzieren von immer Gleichem für eine Gesellschaft ist. Um als Spezies, als Nation, als Gesellschaft das Überleben zu sichern, ist Vielfalt notwendig: niemand kann sagen, welche Eigenschaften, Talente, … in Zukunft hilfreich und wertvoll sein werden – je höher die Variationen, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass jenes Individuum in der Gesellschaft ist, dass rettend sein kann.

Zusammenfassung der Zusammenfassung:
Seine Kernaussagen hat Markus Hengsschläger in seinem Buch am Schluss zusammengefasst.

1.) Was wir wahrnehmen, ist nicht ein „Talent“, sondern der Erfolg (der mit einer bestimmten Fähigkeit erreicht wird). Wichtig ist Markus Hengstschläger in diesem Zusammenhang eine klare Begriflichkeit und er unterscheidet zwischen genetischer Leistungsvoraussetzung (wie z.B.: Muskelaufbau) und der Erbringung einer besonderen Leistung (= Erfolg). Für den Erfolg sind sowohl gute genetische Voraussetzungen („Nature“) als auch eine unterstützende Umwelt („Nurture“) notwendig. Also einerseits gewisse Leistungsvoraussetzungen und andererseits „üben, üben, üben“. Der ‚Talentträger‘ kann sein Talent, seine Leistungsvoraussetzungen, selbst als solches i.A. kaum wahrnehmen bzw. beschreiben. Er wird auf die Frage, wie er das so gut macht, typischerweise antworten: „Ich kann’s einfach.“

2. JEDER Mensch weist individuelle Begabungen auf und jeder Mensch hat das Recht, seine Talente zu ignorieren, also gute Leistungsvoraussetzungen nicht durch das notwendige „üben, üben, üben“ zum Erfolg zu führen.
Und jeder Mensch hat das Recht, fehlenden Leistungsvoraussetzungen zu ignorieren, also eine geringere Leistungsvoraussetzungen durch Begeisterung, „üben, üben, üben“, … zu kompensieren.
Andernfalls ergäben sich eine Reihe freiheitseinschränkender, ethischer Probleme.

3. Jedes Talent kann in der Zukunft wertvoll sein, selbst wenn es heute als wertlos angesehen wird.
Insofern ist es auch heute bereits wertvoll.

4. Die Erhaltung höchstmöglicher Individualität ist das Ziel für eine Spezies, nicht das Erreichen gemeinsamer, durchschnittlicher Fähigkeiten.

5. Schöpferisches Streben nach Neuem ist die einzig sinnvolle Überlebensstrategie (für eine Gesellschaft).

Bei mir ist der Inhalt so angekommen:
Das Buch ist lesenswert: inhaltlich interessant, mit Geschichten und Fallbeispielen aus Biologie und Gesellschaft hinterlegt, hat man das Gefühl, Hengstschläger sitzt einem gegenüber und erklärt euphorischDas besondere Talent: Gene oder 'Üben, üben, üben"? und begeistert seinen Standpunkt, der teilweise persönlich (gefärbt) und subjektiv ist und auch in Frage gestellt werden könnte. Eine kurzweilige Lektüre zu einem schweren Themen.
Etwas lähmend empfand ich, dass sich manche Ideen und die Argumentation dazu im Buch öfter wiederholt als (für mich) notwendig (keine Ahnung, wie oft Elina Garanca, Lionel Messi oder Placido Domingo erwähnt werden und wie oft auf das eine Beispiel mit den Süsswasserpolypen verwiesen wird) – andererseits kamen für mich konkrete Beispiele (aus Biologie und Genetik) zu kurz: eine noch größere Vielfalt an Beispielen hätte dem Inhalt meiner Meinung nach noch mehr Kraft gegeben.

Was nehme ich mir mit:
Für mich wesentlich ist, dass das Buch aus einer weit verbreiteten und im österreichischen Schulsystem organisatorisch festgegossenen begrenzten Sichtweise der egozentrischen Individualität („Ich bin besser als die dumme Masse.“) hin zur erweiterten Sichtweise der altruistischen Individualität („Ich bin anders und ihr seid anders und das ist wertvoll für uns alle.“) führt.

Ich hoffe und wünsche mir, dass Markus Hengstschlägers Buch Wenn die Ziege schwimmen lernt.Entscheidungsträger und Ausführende im ganzen Land, vor allem aber jene, die in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, zur Förderung altruistischer Individualität inspiriert und motiviert.

Das Leben ist schön,
Thomas 🙂

P.S.:  „Wie die Ziege schwimmen lernt“ fasst Hengstschlägers Buch als Metapher für Kinder, Lehrer/innen und Eltern zusammen 😉

Der Lilith-Komplex, Die dunklen Seiten der Mütterlichkeit

Hans-Joachim Maaz: Der Lilith-Komplex. Die dunklen Seiten der Mütterlichkeit

Eva und LilithDie dunklen Seiten der Mütterlichkeit.

Eva kennen wir aus der Bibel: sie ordnet sich (dem Mann) unter, ist (sexuell) passiv, fürsorglich, selbstlos, sich hingebend, kinderliebend, … Was in der Bibel nicht überliefert wird, ist der Mythos der Lilith, das archetypische Gegenstück zu Eva: egoistisch, kinderbekämpfend, dem Mann ebenbürtig, unabhängig, sexuell aktiv, … Lilith, die erste Frau Adams, die nicht bereit war sich unterzuordnen und vertrieben wurde, fand keinen Eingang in die Schöpfungsgeschichte.

Status der Mutter in der Gesellschaft
Maaz geht in seinem Buch davon aus, dass die ausschließliche Kultivierung des am Vorbild der Eva ausgerichteten Frauenbildes und die Verdrängung des Lilith-Anteiles zu massiven Störungen in der deutschen Gesellschaft führt.

Die dunklen Seiten der Mütterlichkeit
Die Forderung der Kinder an ihre Mutter – Allgegenwart der Mutter, Einfühlung durch die Mutter, Befriedigungsfähigkeit des Kindes durch die Mutter, realistätsgerechte Begrenzung – sind, durch die realistätsfremde Orientierung am Eva-Ideal, i.A. nicht erfüllbar. Die Überforderung führt zwangsläufig zur Abweisung der Kinder durch die unbewusste Haltungen der Mutter, die dem Kind gegenüber ausdrückt: „Sei nicht!“, „Sei nicht anstrengend, nicht lebendig!“, „Sei so, wie ich dich brauche!“.

Folgen der Mütterlichkeitsstörungen
Maaz unterteilt die Folgen durch die Störung der Mütterlichkeit durch das Eva-Ideal und die Verneinung bzw. die nicht Akzeptanz des Lilith-Anteiles folgendermaßen:

Falsche Mütterlichkeit: Fürsorge als Selbstwertmittel für die Mutter, Liebe für das Kind als Selbstdarstellung. Die Bedürfnisbefriedigung des Kindes erfolgt (scheinbar) aus selbstloser Liebe um die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen, gleichzeitig wird die ‚Aufopferung des eigenen Lebens‘ zur tragischen Inszenierung der Heldenmutter, die für das Kind alles tut – vor allem sich selbst Aufopfern.
Mutter sein als Helfersyndrom. Folgen für das Kind im Erwachsenenalter sind Schwierigkeiten, sich von der Mutter abzulösen.

Muttervergiftung: Fürsorge verknüpft mit der Botschaft: „Das ist mir zuviel! Ich brauche etwas von dir zurück!“ wird als erdrückend erlebte Überfürsorge von Müttern zur Muttervergiftung. Liebe, die von der Mutter kommt, ist vergiftet mit Erwartungen und der Aufforderung, dass das Kind die Bedürfnisse der Mutter befriedigt. Folgen für das Kind im Erwachsenenalter sind geringer Selbstwert, ewiges schuldig fühlen, …

Muttermangel: neben offensichtlichem Muttermangel (tote Mutter, Pflegemutter, …) kann durch die Selbstüberforderung in der Mutterrolle eine Ablehnung dieser Rolle erfolgen. Die’Mutterfähigkeit‘ ist ungenügend. Folgen für das Kind im Erwachsenenalter sind Flucht ins Materielle: Essen => Fressen, Tätigsein => Arbeitssucht, …

Mutterverwöhnung: es geht nicht um ein ‚zuviel‘ an Mütterlichkeit, sondern um das Befriedigen der kindlichen Bedürfnisse über die Befriedigung hinaus: mehr Essen als notwendig ist, um Hunger zu stillen, mehr Spielzeug als notwendig ist, um den Tag erfüllend zu gestalten, mehr als notwendig in allem. Folgen für das Kind im Erwachsenenalter sind Maßlosigkeit, Anspruchsdenken, …

Die Kind-Mutter: das eigene Kind ist das Symbol der Frau für das eigene Erwachsenwerden: das Kind wird benötigt, um den Sprung in die Erwachsenenwelt zu schaffen, ohne die entsprechende Reife zu haben. Nicht Mütterlichkeit findet das Kind vor, sondern bestenfalls eine ‚große Schwester‘. Im schlechtesten Fall ‚mißbraucht‘ die Mutter das Kind als Puppe zum „Mutter und Kind“ spielen. Folgen für das Kind sind, die eigene Weigerung ins Erwachsenleben einzutreten, Verantwortung nicht annehmen können, …

Die dunklen Seiten der Väterlichkeit
Maaz geht in der Folge auf den ‚Lilith-Komplex‘ im Mann ein, also Störungen der Väterlichkeit durch das Ablehnen bzw. der Angst des Lilith-Anteiles in der Partnerin. Er unterscheidet Vaterflucht, Vaterterror, Mutter-Männer und Mutter-Väter.

Folgen für die Gesellschaft
Die Verbreitung dieser Störungen ist so weit, dass sie entweder als Störungen gar nicht erkannt werden. Ist die Störung so massiv, dass eine Beeinträchtigung des individuellen Lebens da ist, wird diese oft nicht als Folge einer Mütterlichkeitsstörung wahrgenommen. Maaz analysiert diese Fälle in den Kapiteln „Der ‚frühgestörte‘ Mensch als Durchschnittsbürger“ und „Die ‚Gesellschaftsspiele‘ der Frühgestörten.“.

Plädoyer für Mütterlichkeitvon http://www.kunstnet.de/werk/77200-mutterliebe
schließt das Buch ab und beschreibt die drei wesentlichen Aufgabenbereiche der Mütterlichkeit :

  • gebären
  • ernähren
  • gewähren

Zusammenfassung
Insgesamt finde ich das Buch schwierig – nicht schwierig zu lesen, im Gegenteil, sondern durch die zahlreichen Fallbeispiele erfrischend lebensnah, nachvollziehbar und verständlich.
Das Schwierige am Inhalt ist, dass es herausfordert seine eigene Kindheit ehrlich zu reflektieren, Trauer über nicht Gehabtes auslöst und natürlich das Überdenken der eigenen Elternschaft anregt.
Gut, dass ich das Buch gelesen habe.