Autorität ohne Gewalt

Autorität ohne Gewalt

Haim Omer/Arist von Schlippe: Autorität ohne Gewalt
Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen

Das Vorwort beginnt (sinngemäß) so: „Vielen Erzieher in hochentwickelten Ländern ist die Sicherheit abhanden gekommen, dass sie über natürliche Autorität verfügen und ihren Kindern Rückhalt, Selbstvertrauen und Orientierung geben könnten„.

Haim Omer unterstützt Eltern dabei, diese ’natürliche Autorität‘ zurückzuerlangen – er beschreibt sein systemisches Konzept „Elterliche Präsenz“ mit vielen Fallbeispielen in diesem Buch.

Worum geht es?

Nehmen wir an, die Situation zwischen Eltern(teil) und Kind ist zugespitzt, z.B. dadurch, dass

  • der_kleine_tyrann02das Kind (teilweise oder gesamt) die Regeln des Zusammenlebens mit den Eltern bestimmt.
  • das Kind zwar anwesend ist, aber „die Eltern nicht mehr hört“.
  • das Kind sich den Eltern entzieht und ein Gespräch zwischen Eltern und Kind gar nicht mehr möglich ist.
  • jugend01das Kind schulische Leistung verweigert bzw. in der Schule ‚verhaltensauffällig‘ ist bzw. die Schule schwänzt.
  • das Verhalten/die Kommunikation des Kindes gegenüber den Eltern überwiegend beleidigend, provozierend oder aggressiv, also absolut inakzeptabel, ist.
  • das Kind straffällig geworden ist (Diebstahl, Drogen, Gewalt, …)
  • das Kind sich selbst zerstört (Borderline, Bulimie, Alkohol, …) bzw. selbstzerstörerisches Verhalten zur Erpressung (Suizid-Drohungen, …) nutzt.

Wie kann nun eine Verbesserung in dieser Situation geschaffen werden?


der_kleine_tyrannHaim Omer führt als Randbedingung für therapeutische Maßnahmen ein, dass sie

  • keine Vorschriften über den ‚richtigen Weg‚ von Erziehung und Familienleben beinhalten, sondern die Werte und moralischen Vorstellungen der Eltern achten
  • keine direkte oder indirekte Beschuldigung der Eltern beinhaltet (auch nicht über den Umweg des „ursächlich verantwortlich Sein“ für das gestörte Verhalten), sondern das Bemühen der Eltern würdigen
  • auf Gewalt, Demütigung und Kränkung verzichten und allen Beteiligten das eigene Gesicht wahren lässt
  • elterliche Kraft gegenüber kindlicher Destruktion stärken und den Eltern ihre Autorität (ohne Gewalt) wiedergeben


vater-tochterUnter diesen Randbedingungen sind Maßnahmen – je nach Situation und Möglichkeiten der Eltern bzw. des Umfeldes – kreativ zu planen und durchzuführen, um den Eltern ihre Präsenz in der Familie wieder zurückzugeben und damit diese wieder sagen können:

„Ich kann handeln!“
„Das (wie ich handle, wie ich denke) ist richtig!“
„Ich bin nicht allein!“

Die Eltern treten dazu in Kommunikation/Verhandlung mit dem Kind in einer Art und Weise, das ganz klar ist:
Familiendemokratie

„Wir möchten eine Veränderung, eine Verbesserung unserer Lebenssituation.
Es ist uns wirklich wichtig.
Wir nehmen uns dafür die notwendige Zeit und den notwendigen Raum.
Wir möchten eine beidseitige annehmbare Vereinbarung erzielen.
Wenn du (jetzt noch) nicht bereit bist, eine beidseitig annehmbare Vereinbarung mit uns auszuhandeln bzw. einzuhalten, dann müssen wir uns als Menschen (vor dir) schützen.“

Welche Maßnahmen können das nun sein?

Die in den Fallbeispielen vorgestellten, (mit den Eltern) vereinbarten Handlungen und Maßnahmen klingen teilweise schräg/absurd, sind jedoch den jeweiligen Situationen und Rahmenbedingungen angepasst, logisch nachvollziehbar und wirkungsvoll.
Der Kürze halber leider unvollständig und isoliert angeführte Maßnahmen:

Netzwerk

party-alkoholDie Eltern bauen ein Netzwerk auf, so dass sie nicht allein mit dem Problem – der schwierigen Beziehung und der Sorge um ihr Kind – dastehen und damit sie für das Kind ‚allgegenwärtig‘ erscheinen. In das Netzwerk einbezogen werden können z.B.: Freunde des Jugendlichen, Therapeuten, Verkäufer in Geschäften oder Lokalen, die das Kind besucht, Lehrer, Verwandte, Polizei, Erziehungshelfer, … praktisch alle Personen, mit denen das Kind zu tun hat. Eltern können so Nachrichten, Botschaften an ihr sonst nicht mehr erreichbares Kind senden oder erfahren auf diese Weise überhaupt erst, was ihr Kind macht (z. B. Schule schwänzen, Lokale besuchen, Peer-Group kennen lernen, …). 

Sit In

sit-in-klassischBei dieser Methode des gewaltfreien Widerstandes ‚belagern‘ die Eltern das Zimmer des Kindes (für einen bestimmten Zeitraum pro Tag, z.B.: 2 Stunden bis hin zu ganzen Tagen) und nehmen sich dadurch Zeit und Raum, um ihre Rechte durchzusetzen (z.B.: Gespräche für Vereinbarungen, …). Dabei ist es hilfreich, sich Unterstützung zu holen, z. B. bei Verwandten, Freunden der Familie, Therapeuten, …

Konsequenzen bzw. Handlungsfähigkeit zurückerlangen

Eltern scheuen aus Furcht vor z. B.: Beziehungsabbruch bzw. -verschlechterung, Selbstverletzung, Aggression, Kriminalisierung, … davor zurück, klare Konsequenzen wirklich durchzusetzen. Diese Furcht kann nun berechtigt oder unberechtigt sein, sie lähmt jedenfalls die Handlungsfähigkeit der Eltern.
Die Konsequenzen müssen natürlich die oben angeführten Randbedingungen erfüllen.

Kind_und_Auto

In den Fallbeispielen sind Konsequenzen z. B. Verringerung bzw. Aussetzen des Taschengeldes, Konfiszieren von Gegenständen aus dem Zimmer des Kindes (z.B.: Fernseher, Computer, Stereoanlage, …), Ab- bzw. Heimholen des Kindes z.B: aus einem Lokal, Diskothek, von Freuden, …, ‚Überwachung‘ des Kindes in kritischen Situationen, Anzeige der nicht legalen Handlungen des Kindes, …

The Bear-Hug

mutter-umarmt-kind

Die „Bärenumarmung“ ist eine Möglichkeit bei jüngeren Kinder, durch eine länger anhaltende, liebevolle Umarmung das Kind an einem nicht annehmbaren Verhalten zu hindern. Haim Omer grenzt sich hier ausdrücklich von der in Deutschland teilw. propagierten ‚Festhaltetherapie‘ ab.

und weitere, je nach Problemstellung, Möglichkeiten, …

Zusammengefasst

haim-omerHaim Omer zeigt unterschiedlichste familiäre Problemfälle auf, bei denen Eltern ihre Handlungsfähigkeit und ihre Selbstachtung (also ihre „Elterliche Präsenz“) wiedergegeben werden konnte, auch wenn diese durch das dauerhaft wiederholte grenzüberschreitende Verhalten der Kinder bis zur Auslöschung erodiert wurden.

Haim Omer orientiert sich an Grundsätzen, Rahmenbedingungen und Leitlinien, sodass genügend Freiraum bleibt, um therapeutische Maßnahmen für unterschiedlichste Familienkonstellationen, Wertehaltungen und Problemstellungen zu entwickeln.

Erzieh mich dochIn allen Fallbeispielen zeigt sich Haim Omers Würdigung des Bemühens der Eltern die (Familien-)Situation zu verbessern und sein Respekt gegenüber den Menschen, die die Mühen eines Veränderungsprozesses auf sich nehmen – aus Liebe und Sorge um ihr Kind, aber auch zu ihrem eigenen Schutz.

Die Fallbeispiele sind interessant – nicht schönfärberisch, sondern durch die Hinweise auf Probleme und Schwierigkeiten realistisch und nachvollziehbar dargestellt.

Insgesamt fand ich das Buch gut lesbar, den Inhalt nachvollziehbar und umsetzbar.

Das Leben kann schön sein ;-),

Thomas