Zwei Herren am Strand

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Zwei Herren am Strand

Zwei Herren am Strand: das sind Winston Churchill und Charlie Chaplin, die sich hier zufällig zum ersten Mal treffen, nicht erkennen und ins Gespräch kommen. Sie treffen sich, weil sie von der Party der Schauspielerin Marion Davies  in Santa Monica flüchten. Sie erzählen sich von ihren depressiven Phasen, vom Besuch des „schwarzen Hundes“ und wie sie dagegen ankämpfen, versprechen sich gegenseitig zu helfen, wenn es wieder einmal soweit ist.

Im Zentrum des Romans stehen zwar Churchill und Chaplin, allerdings erzählt ein fiktiver Clown-Darsteller die Geschichte in Ich-Form. Und der hat sie von seinem Vater, der einen regen Briefwechsel mit Churchills privatestem Privatsekretär William Knott hatte, was der Erzähler jedoch erst nach dem Tod seines Vaters herausfand.

churchillJedenfalls lassen sich aus dem Briefwechsel Details herauslesen, die sonst nicht an die Öffentlichkeit gelangt wären, z.B. wie William Knott und Winston Churchill vom Dachgeschoss einen Fliegerangriff auf London mitverfolgen, wie Knott vor Churchills Bett schläft, damit dieser sich in einer Phase der Depression nicht umbringt, sondern beim Aufstehen auf Knott hätte steigen müsste, oder wie er mit Churchill spazieren geht um diesen aus einer Depression zu helfen. William Knott erzählt uns in einem seiner Briefe auch, dass er sein gesamtes Leben lügen musste – zu seiner Frau, die nicht wusste, was er arbeitete und zu Churchill, der nicht wissen sollte, dass er verheiratet ist. Der Erzähler findet über den Briefwechsel seines Vaters Interesse an Churchill und Chaplin und recherchiert, zitiert aus Interviews, Zeitschriften, Biografien uvm. immer mit dem genauen Hinweis auf die Quellen. Es wird auch erzählt, wie Churchill während seines Deutschlandaufenthaltes auf der Toilette eines Hotels (vermutlich) Adolf Hitler begegnete, die beiden sich jedoch nicht erkennen.

NPG P283; Charlie Chaplin by Strauss-Peyton StudioNatürlich recherchiert der Erzähler auch Charlie Chaplins Biographie, wie er seine Jugend als Halbwaise in Armenhäusern Londons verbrachte, seine Rollen als „Tramp“, seine Zusammenarbeit mit seinem Bruder bei United Artists, seine Krise während der Scheidung von Mildred Harris bis hin zu seiner Arbeit am „The Great Dictator„, Details aus Chaplins Leben entnimmt der Ich-Erzähler des Romans einem Interview, das dieser in hohem Alter in seinem Wohnsitz in der Schweiz dem Journalisten Josef Melzer gegeben habe. Die Probleme mit den Vorarbeiten, der Umsetzung und schließlich der Aufführung des Films „Der große Diktator“

Chaplin und Churchill begegnen sich nicht oft, im wirklichen Leben nicht und auch in diesem Roman nicht. Die Treffen werden teilweise als peinlich, unpassend und nicht harmonisch beschrieben.
Churchill und Chaplin 2Was auch nicht überraschend ist: Churchill aus der Londoner Adelsschicht stammend und Chaplin aus der Londoner Unterschicht, beide nicht sehr übereinstimmende Weltanschauungen, und doch vereint sie der Kampf gegen ihre Depression, gegen ihre Selbstmordgedanken, gegen den „Schwarzen Hund“.

Und beide kämpfen gegen Hitler: Churchill mit der Methode des Politikers und Chaplin mit der Methode des Clowns. Als sie erfahren, dass auch Adolf Hitler an depressiven Verstimmungen mit Suizidgedanken leide, kommentiert Churchill das mit „Wir können uns nicht aussuchen, wer in unserm Club mit dabei ist.“

Persönliches

Während der Lektüre habe ich diverse Seiten zu Chaplin und Churchill gelesen, mir den „großen Diktator“ nochmals angesehen, mir Churchill angehört usw. und war angetan von ihren Biografien, von ihrem Leben. Da ich geschichtlich etwas (zu) wenig bewandert bin, hat sich hier für mich viel spannendes, interessantes und auch humorvolles aufgetan.
KöhlmeierIm Nachhinein zu erfahren, dass die Quellen, die Michael Köhlmeiers Ich-Erzähler hier angibt, teilweise echt, teilweise Fiktion sind, hat mich fast umgehauen, jedenfalls ‚enttäuscht‘ im eigentlichen Wortsinn: ich habe während des gesamten Buches wirklich geglaubt, William Knott hätte diesen Briefwechsel mit jemandem geführt und das Interview zwischen Josef Melzer und Charlie Chaplin wäre wirklich stattgefunden.
Zur Zeit weiß ich nicht, was jetzt real und was Fiktion an dem Roman ist – eine angenehm kribbelnde Verwirrung. Und eigentlich ist es auch egal: „Zwei Herren am Strand“ ist ein Roman mit vielen historisch belegbaren Fakten, zwischen denen ein wunderbares Netz aus Köhlmeiers Phantasie gespannt ist.
Mir hat er gefallen: spannend, informativ, humorvoll, augenzwinkernd –
ein außergewöhlicher Roman der zeigt:

Das Leben ist schön!
Thomas 🙂

P.S.: Den Roman habe ich als Hörbuch gehört, Michael Köhlmeier liest. Es gab keine Stelle, an der Inhalt und Stimme für mich nicht gepasst hätten – ein Hörvergnügen.