Kinder einfühlend ins Leben begleiten

Elternschaft im Licht der Gewaltfreien KommunikationMarshall B. Rosenberg: Kinder einfühlend ins Leben begleiten.

Das Büchlein, dessen wesentlicher Inhalt auf den ersten 24 der insgesamt 42 Seiten ausgerollt wird, bringt eine sehr allgemein dargestellte Sichtweise auf das Zusammenleben mit Kindern, ausgeführt mit einigen wenigen Beispielen und Anekdoten zur Illustration. Im Grunde plädiert Rosenberg dafür, mit Menschen nicht abwertend und respektlos umzugehen, sondern sie als gleichwürdige Partner zu sehen. Das ist durch die (vermeintliche) Vor-Macht-Stellung der Eltern gegenüber ihren Kindern wesentlich schwieriger, als gegenüber gleichrangigen Menschen (z.B.: Arbeitskollegen).
Es könnte sein, dass das Büchlein ohne Wissen über „Gewaltfreie Kommunikation“ unverständlich bzw. nicht nachvollziehbar ist. Andererseits ist es für Menschen, die Erfahrung mit „Gewaltfreier Kommunikation“ haben, nichts Neues – höchstens eine Auffrischung, vielleicht ein neuer Impuls.

Erziehungswege

Wenn ich mein Weltbild über den Inhalt lege, so verdeutlicht Rosenberg, dass der dritte Erziehungsweg zu bevorzugen ist, da er Kindern die größte Entfaltungmöglichkeit für ihr Entwicklungspotenzial lässt.

Erster Erziehungsweg: Beeinflussung, Macht ausüben

Hiermit meine ich das „Beeinflussen“ der Kinder durch Zwang, Bedrohung, Bestrafung und Belohnung, allgemein durch Machtausübung. Nebenbei erwähnt, besteht letztendlich kein Unterschied zwischen Erziehung durch Bestrafung und Belohnung: Alle Anstrengungen dienen der Manipulation und der Einschränkung des menschlichen Verhaltens (in diesem Falle des Kindes) hin zu einem von außen vorgegebenem, erwünschten, nicht zu hinterfragendem, von einer höheren moralischen Instanz (Eltern, Gesellschaft, Religion, …) festgelegtem Verhalten. Viele Erziehungsratgeber hinterfragen diesen Grundansatz der elterlichen Autorität nicht, sondern geben Handwerkszeug in die Hand, diese Machtausübung versteckt, effizient und/oder möglichst ’nebenwirkungsfrei‘ auszführen.

Das Erziehungsergebnis ist nicht nur die erwünschten Anpassung, sondern auch die Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse, Entmutigung und damit das Fallenlassen eigener Ziele. Die Kinder entwickeln schließlich Widerstand, Agression und/oder Rückzug, Isolation.

Dieser Weg ist allgemein verbreitet und akzeptiert, so dass in unserer Gesellschaft auch die ‚Nebenwirkungen‘ in Form von Trotzphase, Pupertät, Rebellion, … als nicht vermeidbar und normal angesehen werden.

Zweiter Erziehungsweg: Machtübergabe (Laissez Faire)

Demgegenüber steht das andere Extrem: die Übergabe der „Macht“ an die Kinder selbst. Sie meiden Konflikte so sehr, dass sie die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse aufgeben. Diese Eltern neigen dazu, ihre persönlichen, eigenen Grenzen den Kindern gegenüber nicht aufzuzeigen, geschweige denn deren Einhaltung einzufordern. Andererseits sind die Eltern auch nicht in der Lage, die wirklichen Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und ihnen ausreichend Unterstützung zu geben.

Das Erziehungsergebnis ist neben der erwünschten Entfaltung, Ausleben der kindlichen, unbegrenzten Bedürfnisse und der kindlichen Freiheit v.a. Verantwortungslosigkeit, grenzüberschreitendes Verhalten, Tyrannei, Gereiztheit, ….

Dieser Weg wird i.A. als so schlimm und verantwortungslos angesehen, dass die Unterscheidung zu einer anti-autoritären Erziehung (hier Verhandlungsbeziehung genannt) emotional oft nicht mehr möglich ist.

Dritter Erzieungsweg: Verhandlungsbeziehung

Rosenberg spricht sich für eine „bestimmte Qualität von Beziehung“ aus: Durch gegenseitigen Respekt und Anerkennung der Gleichwürdigkeit wird es möglich, in liebevolle Beziehung zu treten und Konfliktlösungen zu verhandeln, die es beiden Seiten ermöglicht, ihre Bedürfniserfüllung zu wahren. Ich bezeichne dies (etwas nüchtern) als Verhandlungsbeziehung. Wie das gehen kann, ist ausführlich bei M. B. Rosenbergs „Gewaltfreie Kommunikation“ nachzulesen – ein Buch, dass ich nach wie vor zu jenen drei Büchern zähle, die mich am stärksten beeinflusst haben.

Das Erziehungsergebnis besteht aus der erwünschten Entfaltung unter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse anderer, bringt eine Vertiefung der Eltern-Kind-Beziehung mit sich, fördert die Entwicklung kommunikativer Kompetenz, sozialer Kompetenz, Empathie, respekvollen Umgangs miteinander und anderen, …

Voraussetzung ist jedoch das Zurücknehmen des eigenen Machtanspruches und das Investieren des zeitlichen Aufwandes für das intensive „in-Beziehung-Tretens“ bereits bei scheinbar kleinen Konflikten.

Meine Motivation für Verhandlungsbeziehungen

Stimmt die Annahme, dass Kinder hauptsächlich durch das Imitieren des Erwachsenenverhaltens (hier v.a. der Eltern) lernen, so ergibt sich zwangsläufig folgende Frage zum Erziehungsstil an mich als Elternteil:

Bin ich zufrieden,
wenn sich mein Kind mir und anderen gegenüber so verhält,
wie ich mich ihm gegenüber verhalte?

Kann ich das uneingeschränkt mit ‚Ja‘ beantworten, so passt mein Erziehungsstil. Andernfalls muss ich mein Verhalten als Elternteil hinterfragen und adaptieren, um beim Kind eine entsprechende Anpassung zu erreichen. Andere Erziehungsmaßnahmen (Belohnen, Bedrohen, Belobigen, Bestrafen, Bestechen) führen dazu, dass das Kind diese Erziehungsmaßnahmen erlernt, nicht jedoch den Inhalt der Erziehungsmaßnahme.

Ein Beispiel

Wenn ich mein Kind anschreie, es solle die Türen nicht so zuknallen, dann lernt das Kind zum Beispiel folgendes:

  1. Um zu Vermeiden, dass mein Vater/meine Mutter mich anschreit, sollte ich die Tür leiser zu machen (was ja auch erwünscht ist, jedoch keine Erziehung im eigentlichen Sinne ist, sondern eher das Antrainieren einer Vermeidungsstrategie)
  2. Wenn mir das Verhalten einer anderen Person nicht passt, dann muss ich sie einfach anschreien, um zu erreichen, was ich will.
  3. Wenn ich mich über Vater/Mutter ärgere, dann kann ich mich rächen, indem ich die Türen knalle, damit sie sich auch ärgern.

Was das Kind jedenfalls nicht gelernt hat, ist, die Grenzen und Bedürfnisse anderer zu wahren, die da sein könnten: Bedürfniss nach Ruhe, Schonung der Möbel, Wertschätzung der bereitgestellten Umgebung, Sicherheit (bei einer Glastüre), …
Dazu ist eine andere Kommunikation, eine Konfliktaustragung, eine gezielte Auseinandersetzung mit dem Kind notwendig. Wie das gehen kann, ist jedoch nicht in dem Büchlein „Kinder einfühlend ins Leben begleiten“ dargestellt. Daher die Empfehlung: „Gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg.

Das Leben ist schön :-),
Thomas

Hinterlasse einen Kommentar